22 Okt Visualisierung als Erfolgsfaktor im Pharma-Marketing
Dr. Sigrid Schmid ist Bereichsleiterin Health & FMCG bei der GIM, Gesellschaft für Innovative Marktforschung in Heidelberg. Darüber hinaus leitet sie auch das GIM Vision Team, das auf ethnographische und video-basierte Marktforschung spezialisiert ist. Die Soziologin und Kulturanthropologin begleitet seit Jahren globale Gesundheitsmarken großer Pharmahersteller mit qualitativer Forschung. Neben der Gesundheitsbranche bildet ein weiterer Schwerpunkt ihrer Tätigkeit das “Global Insight Management“. Bei dieser kultursensiblen internationalen Marktforschung beschäftigt sich Schmid mit dem methodischen Gebiet der Ethnographie und der videogestützten Forschung. Die Dozentin und u.a. ESOMAR Excellence Award nominierte Referentin hat zahlreiche Studien in verschiedenen Ländern durchgeführt.
Das eigene Produkt von Wettbewerbsprodukten zu differenzieren, gehört zu den klassischen Aufgaben von Marketing und Kommunikation. Angesichts wachsender Produktvielfalt und globaler Konkurrenz wird dies bekanntermaßen immer schwieriger, auch für die Gesundheitsbranche.
Markenhersteller von Pharma- und OTC-Produkten müssen sich zunehmend gegen konkurrierende Generikahersteller durchsetzen, die vermeintlich identische Produktleistungen zu deutlich geringeren Preisen anbieten können. Für viele Verbraucher verschwimmen aufgrund der Angebotsflut die produktspezifischen Unterschiede hinsichtlich Benefits und Wirkungsweisen von Produkten. Die Folge: Ihre Entscheidungen werden beliebig oder sind ausschließlich preisgetrieben.
Der Status Quo im Healthcare-Marketing
Vor diesem Hintergrund beschreitet das Healthcare-Marketing heute ähnliche Pfade wie das Konsumgütermarketing: Man setzt auf die Stärkung der Marke an sich und arbeitet vor allem an der emotionalen Aufladung der Marke. Rationale oder funktionale Aspekte von Marke oder Produkt werden oftmals weniger zur Differenzierung genutzt. Marken liefern daher oft keine ausreichenden Erklärungen zum Produkt und der Funktionsweise. Der Konsument mag dann zwar emotional angesprochen sein, kann aber keinen Reason to Belief (RTB) erkennen, der ihn das Produkt beim Vergleich mit anderen wählen lässt.
Genau hier liegt jedoch ein großes Potential für die Kommunikation von OTC-Produkten, das nicht ungenutzt bleiben sollte. Insbesondere im Gesundheitsbereich muss erfolgreiches Marketing mit Informationen und Erklärungen arbeiten. Dem kritisch prüfenden Konsumenten muss ein guter Grund an die Hand gegeben werden, sich für ein Produkt zu entscheiden: ein guter RTB. Denn gerade wenn es um die eigene Gesundheit geht, treten Nutzen, Funktionsweisen und Nebenwirkungen für den Konsumenten in den Vordergrund. Es reicht daher nicht aus, dem Konsumenten/Patienten nur ein Key Visual zu bieten, das ihn emotional anspricht und vermeintlich an eine Marke bindet.
Ein Beispiel
Ein gutes Beispiel dafür, wie es auch anders geht, ist Actimel. Als einfaches Milchprodukt kommuniziert es Vorteile für die Gesundheit, die weit über die altbekannten Vorzüge von Milch oder Joghurt hinausgehen. Die Überzeugungskraft der Actimel-Kommunikation zeigt sich immer wieder darin, dass Konsumenten Actimel häufig eher den Nahrungsergänzungsmitteln als den Milchprodukten zuordnen, obwohl es kein OTC-Produkt ist. Ein Blick auf einen Actimel-Werbespot zeigt, dass hier ein herausragender RTB kreiert wurde, der die L’Casei-Kultur in Form kleiner, kämpfender Helfer abbildet. Diese Helfer verteidigen den Körper mit ihren Fäusten und Actimel-Schilden vor aggressivroten, stacheligen Eindringlingen. Diese Eindringlinge werden von Konsumenten anhand der Bilder klar als Viren und Bakterien identifiziert. Ohne es explizit zu sagen, erreicht Danone eine Wahrnehmung von Actimel als aktiv und direkt Krankheiten abwehrendes Produkt – während verbal lediglich eine Stärkung der Abwehrkräfte von innen heraus kommuniziert wird.
Den RTB visualisieren
Das Beispiel verdeutlicht, dass der gewählte RTB auf den inneren Bildern der Konsumenten aufbauen und vorhandene Vorstellungen z.B. über das eigene Gesundheitsproblem und mögliche Problemlösungen aktivieren muss. Kern einer erfolgreichen Kommunikation ist folglich ein RTB, der mit dem Wissen und den (visuellen) Vorstellungen der Verbraucher vereinbar ist. Auf diese Weise wird die Produkterklärung leichter verdaulich und gut erinnerbar – beides Grundvoraussetzungen für eine unique und ansprechende Kampagne.
Wie lassen sich nun die relevanten RTBs identifizieren und in eine überzeugende visuelle Kommunikation übersetzen? Wir plädieren für qualitative Insight-Forschung, die sich auf die tieferliegenden mentalen Muster und emotionalen Bedürfnisse von Konsumenten konzentriert. Hierbei gilt es zunächst, das latente Wissen und die visuellen Vorstellungen über die Prozesse im eigenen Körper zu identifizieren: “Wie wird der eigene Körper im gesunden bzw. im kranken Zustand wahrgenommen, und wie, wenn er unter dem Einfluss von Medikamenten steht?” Darüber hinaus können medizinische Fakten und Erklärungen als Stimulus helfen, die Wahrnehmungsmuster und visuellen Vorstellungen im Hinblick auf erfolgversprechende RTB zu bündeln.
Dr. Sigrid Schmid
Publikationen, Interviews, Vorträge
>> Marktforschung ohne Realitätsausschluss. Konsumentennähe durch den innovativen Einsatz qualitativer methodischer Settings, Sozialwissenschaften und Berufspraxis, SuB 2008
>> Das Geheimnis der Besonderen, Süddeutsche Zeitung 11/07
>> Auf der Lauer beim Konsumenten, Hochschule Pforzheim 05/09
>> Tagebuchmethoden in der Stadtsoziologie, Universität Karlsruhe 2008/09
>> A matter of belief – How RTBs can make a difference in efficient healthcare branding, ESOMAR Healthcare, Rom 2008
>> ESOMAR Excellence Award, nominierter Beitrag, 2007/2008
>> Grasping the Moment of Truth. Ethnographic insights for automotive NPD, ESOMAR Automotive Conference, Genf 2008
Pingback:Nachhaltige Markenführung durch Trendforschung | eck marketing
Veröffentlicht: 14:29h, 13 Mai[…] in den kommenden 10 Jahren. Dr. Kerstin Ullrich/Dr. Christian Wenger, Redline Verlag 2008 >> Visualisierung als Erfolgsfaktor im Pharma-Marketing, Dr. Sigrid Schmid, GIM >> Neue Wertevorstellung und Konsumentenwünsche, Dr. Kerstin Ullrich, GIM >> Shopper […]