Karen Heidl über Erlösmodelle für Verlage: Der Mix machts

Das Social Web hat das Verlagswesen heftig aufgewirbelt: Um Online Geld machen zu können, müssen Erlösmodelle abgewogen, individuelle Lösungen gefunden und Kombinationen getestet werden. Eine Expertin auf diesem Feld ist Karen Heidl, ihres Zeichens Verlagsberaterin mit Schwerpunkt auf Online-Vermarktung und neue Geschäftsmodelle. In diesem Interview wird sie über Erlösmodelle, Anforderungen an Verlage und die verschiedenen Ressentiments sprechen, die immer noch auf Seiten der Verleger existieren. Sie betreibt auch einen eigenen Blog, der diese und weitere Themen aufgreift.

>> Frau Heidl, Sie beschäftigen sich intensiv mit den Erlösmodellen von Verlagen, besonders im Zusammenhang von Websites und redaktionellem Content. Was halten Sie von einem Dienst wie Flattr, der ja schon bei Taz.de eingesetzt wird und im Juni trotz der Beta-Phase schon knapp 1000€ einspielen konnte?

Karen Heidl (K.H.): Den Social-Payment-Service Flattr betrachte ich als Ansporn zu mehr Leserbindung, zu höherer Relevanz der Inhalte und zu besserem journalistischem Handwerk. Flattr liegt eine simple Idee zugrunde, ein einfaches Handling und eine ehrenwerte Intention. Damit bringt Flattr die besten Voraussetzungen mit, sich als weitere Erlösquelle zu etablieren. Flattr wird damit – ebenso wie Apps – eine weitere Komponente in der Erlösquellenmatrix von Verlagen – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Welchen Stellenwert Flattr als Erlösquelle einmal einnehmen wird, ist noch schwer einzuschätzen. Dies hängt sicher wesentlich von der Qualität der Inhalte und dem Werteverständnis der Leserschaft ab. Auch wird es interessant sein, herauszufinden, wie stabil die Erlöse fließen und von welchen Faktoren Schwankungen abhängig sind.

>> Es bieten sich für Content-Produzenten recht viele Möglichkeiten, Inhalte zu monetarisieren. In Ihrer Übersicht: “Grundlagen Online-Geschäftsmodelle/Erfolgsfaktoren und Umsatzmodelle” zeigen Sie die verschiedenen Möglichkeiten von Bannerwerbung über Kleinanzeigen bis hin zu Sponsored Blogs auf. Wie identifiziert ein Anbieter die für ihn passenden Werbe- und Erlösformen?

K.H.: Eine der wichtigsten Einsichten ist die, dass digitale Produkte und die damit verknüpften Erlösformen meist nur in einer Mixtur verschiedener Lösungen funktionieren und selbst dann auch nur bis zu einem gewissen Grad. Die Herausforderung besteht darin, die Anteile solcher Erlösquellen am Gesamtumsatz Schritt für Schritt zu erhöhen und am Erfolg neuer Produkte im Markt zu arbeiten. Hat man dies begriffen, muss man sich eine weiterer Besonderheit digitaler Produkte vor Augen führen: User kann und muss man mit anderen Methoden als traditionelle Leser ansprechen, nämlich direkt, zielgerichtet und mit modularen Lösungen. Und der dritte Aspekt: Die kontinuierliche Modifikation und Weiterentwicklung digitaler Produkte erfordern Agilität und Geschwindigkeit interner Prozesse. Da es keine Rezeptur für die Werbe- und Erlösformen der Zukunft gibt, kann ich auf Ihre Frage also nur eine Antwort geben: Verlage müssen sich den drei genannten Anforderungen – Experiment, dem neuen User/Leser und Agilität – stellen. Wenn sie dies nicht wollen, werden sie ihre passende Strategie nicht finden.

>> Wie schafft man es auch in sehr festgefahrenen Verlagen Schritt für Schritt die neuen Medien zu implementieren? Was braucht ein Verlag, damit er im Web erfolgreich sein kann?

K.H.: Verlage sind immer so dynamisch, mutig und aufgeschlossen wie ihre Mitarbeiter. Mangelnde Initiative kann man weder auf die Technik, noch auf fehlende Erlösquellen schieben, sondern muss man ausschließlich an den Mitarbeitern festmachen. Nur tragen die Mitarbeiter hierfür nicht notwendigerweise die Verantwortung. Ich habe häufig festgestellt, dass die Mitarbeiter eigentlich wissbegierig und experimentierbereit sind. Doch sehen diese Mitarbeiter oft mehr Hürden als Chancen. Darum geht es häufig in Gesprächen mit Verlagen: die Hürden dürfen nicht dominieren. Denn eigentlich ist vieles in den letzten Jahren sehr viel einfacher und günstiger geworden. Folgende Killer-Argumente müssen auf die Tabuliste:

– Dafür haben wir keine Zeit.
– Damit kennen wir uns nicht aus.
– Das ist zu teuer.

>> Das Social Web zwingt Unternehmen zum Umdenken. Wo liegen derzeit die Probleme der Verlage, und was bedeutet für Sie “zukunftsweisend” in diesem Zusammenhang? Gibt es Best-Practice-Beispiele?

K.H.: Verlage haben ihre Organisation optimal an der Steuerung des Kerngeschäfts ausgerichtet. Das traditionelle Kerngeschäft hat den direkten Kontakt mit Kunden (Lesern/Usern) außerhalb von B2B-Segmenten kaum auf der Rechnung. Die Kommunikation nach außen ist geprägt von zentraler Steuerung. Die Dezentralisierung und Verlagerung von Kommunikationsaufgaben direkt in Redaktionen und Lektorate stoßen auf Widerstände. Und während die einen über Zuständigkeiten von Marketing und Redaktion diskutieren, twittern andere Redakteure und Lektoren schon munter drauf los. Erst kürzlich zeigte eine Liste twitternder Verlage, dass auch Nischenpublikationen in sozialen Medien solide Reichweiten in Relation zur potenziellen Leserschaft aufbauen können. Auch wenn die absoluten Zahlen in Deutschland für manche Plattformen wie eben Twitter noch überschaubar sind: Marketing bedeutet, in allen relevanten Kanälen eine Marke zu kommunizieren. Spricht man von neuen, nachwachsenden Zielgruppen, sind die sozialen Medien auch in der Nische relevant. Werfen Sie also einen Blick auf diese Liste, und Sie werden eine ganze Menge Best Practice finden.

>> Was unterscheidet ein Fachmedium in puncto Vermarktung und Online-Geschäftsmodell von einer Tageszeitung?

K.H.: Ganz offensichtlich Targeting und Reichweite – von ersterem mehr, von letzterem weniger. Das bedeutet, aber nicht notwendigerweise, dass sich der Erlösquellenmix im Online-Bereich grundlegend unterscheidet. Der Katalog der Möglichkeiten ist bekannt. Die Komponenten werden jedoch unterschiedlich gewichtet und umgesetzt, oder das Pricing der Lösungen bewegt sich auf unterschiedlichen Niveaus. Pragmatisch sind auch Hybrid-Ansätze wie das von Wolters-Kluwer mit der kürzlich gelaunchten Legal Tribune (www.lto.de), einem Online-Magazin für Juristen. Diese Plattform wird in Kooperation mit Spiegel Online betrieben. Spiegel Online ist verantwortlich für die Vermarktung und liefert die tagesaktuellen Beiträge – auch nicht-juristische Themen. Dieses Modell zeigt: Reichweite und Fachinformation müssen einander nicht ausschließen – vor allem nicht im Web. Im Gegenteil: Solche zielgruppenaffinen Informationsfunnel von einem reichweiten Portal zur spezialisierten Recherchedatenbank bieten Chancen für die jeweiligen Geschäftsmodelle. Targeting und Reichweite gehen eine neue Allianz ein. Auch Fachmedien müssen ihre Rolle als Informationsdienstleister überdenken und vielleicht ganz andere Startpunkte für ihre Services definieren.

Vielen Dank für das Interview!

Vorträge, Interviews und Publikationen von Karen Heidl:
» Blogs als Marketing-Instrument, Fachhochschule Nordwestschweiz 08/2010
» Vom Print- zum crossmedialen Fachverlag – Implementierung und Integration digitaler Geschäftsmodelle, Akademie des deutschen Buchhandels, 07/2010
» Effektives Print-Online-Management im Fachverlag – 10 Keylearnings, Trendtagung Fach- und Spezialmedien, Zürich 11/2009
» Online-Geschäftsmodelle, Akademie des deutschen Buchhandels 03/2009

» Interview: Karen Heidl über den crossmedialen Fachverlag, Akademie des deutschen Buchhandels 06/2010
» Agile Methoden im Pflichtenheft-Verlag, Karen Heidl 07/2010
» Das Social Media Marketing-Buch, Dan Zarrella, Deutsche Übersetzung von Karen Heidl, O’Reilly Verlag 08/2010

Keine Kommentare

Hinterlassen Sie einen Kommentar